Stories

Kartoffeln statt Döner

Eine Glosse
von Renate Rave-Schneider

Als ich im Dezember 2014 -bequem auf der Couch lümmelnd-
TV glotzte und dabei bei der PEGIDA-Demo in Köln ein
rotgesichtiges Bäuerchen mit Knollennase erblickte, das ein
großes Schild mit der Aufschrift “ Kartoffeln statt Döner“
hochhielt, fuhr ich direkt hoch, meine Gesichtszüge entgleisten
mir ob soviel Dummheit.

Denn es ging dem Landwirt ja nicht um vegetarische Lebensweise,
sondern um  falsch verstandenes Nationalgefühl !
Deshalb wusste ich nicht, ob ich weinen oder lachen sollte, entschied
mich dann aber für letzteres, erst verhalten, dann wiehernd, bis
ich mir den Bauch halten musste.

Was hat denn bitte schön die vermeintliche Islamisierung des
Abendlandes mit Döner zu tun?
Den gibt es doch mindestens schon zwei Jahrzehnte hier
wie  Sushi, China-Taxis, Gyros-Pitas, Pizza, Tapas,
Tortillas. Gott sei Dank!

Und ob die Kartoffel, die ja ebenso wie der Mais und die Tomate
aus Südamerika kommt, dem Deutschen wirklich so gut steht,
mag dahin gestellt sein!

Denkt das naive Bäuerchen echt sie sei eine deutsche Erfindung?
Ich aß in Istanbul im Stadtteil Ortaköy im Schatten der Moschee
am Bosporus-Ufer Kumpins.
Das sind Pendants zu den bei uns beliebten Folienkartoffeln.
Dort werden sie mit Zwiebeln, Pilzen, Brosamen und anderen
Kostbarkeiten gefüllt und munden echt lecker.

Kartoffeln statt Döner, dass ich nicht lache!
Traf mal im nobleren Badeort Belek an der türkischen Riviera
eine 6-köpfige Familie aus Dortmund-Aplerbeck, die dort einen
Urlaub in einem All-Inclusive-Hotel gewonnen hatte.
„Watt essen wir heute?“ diese Frage wurde täglich lauthals gestellt.
Und pünktlich um 12.30 Uhr trabte die aus den Nähten ihrer Caprihose
platzende Mutter mit dreien ihrer dicklichen Kinder in eng sitzenden
Badeklamotten ins angrenzende Bistro und bestellte lauthals:
„4 Mal doppelte Portion Pommes rot-weiß mit Döner!“

Doch der ansonsten so freundliche Ober zuckte nur die Achseln ;
der in Germany geläufige Ausdruck „Döner“ für Döner Kebap ist
hier nicht geläufig, heißt Döner doch eigentlich nichts weiter als
„gerollt“, etwas Gerolltes.

Kartoffeln statt Döner, mir kommen die Tränen.
Ist das Bäuerchen wohl schon mal als deutsche Kartoffel tituliert worden?
Wieder kommen mir Erinnerungsbilder… von vor gut zehn Jahren.

Es war auf dem Parkplatz vom Kaufpark, wo die Filialleiterin,
eine kräftige Germania mit wachsamen Augen hinter funkelnden Brillengläsern,
in die Offensive ging und einem gut aussehenden jungen Mann mit Migrations-
hintergrund den Einkaufswagen entreißen wollte, den dieser nicht zum ersten
Mal zu seiner Wohnstätte rollen wollte.

Zahlreiche Passanten wurden Augenzeugen dieser Szene:
Hier die robuste Germania mit vor gerecktem Kinn und festem Griff der Arme,
dort der junge Mann mit Elvistolle, der gleichfalls sein Kinn reckte und am
anderen Ende des Wagens zog:

Das Ziehen und Zerren der beiden Kampfhähne schien nicht enden zu wollen.

Dann hallte die Stimme des Mannes über den Parkplatz, sie hallt mir noch heute
in den Ohren.
„Du deutsche Kartoffel!“ brüllte er „gib es doch auf und lass endlich los!“

Dass ausgerechnet dieser Mann – Drago wurde er genannt – später eine
Festanstellung in einem Backshop in der Innenstadt mit angrenzendem Bistro kriegte,
dessen Spezialität Kartoffelbrot war, ja überhaupt alle möglichen Kartoffel-Variationen, war ja fast Ironie des Schicksals und ich hätte zu gerne von ihm
gewusst ,ob das sein Bild über die deutsche Kartoffel nachhaltig verändert hat!

Was aber ist jetzt mit Kartoffeln statt Döner?
Ich hoffe, dass dieses dumme Format ein baldiges Ende findet.

Die griechische Küche ( abgesehen von ihren Schweinefleisch-Gerichten) ist ein Abklatsch
der türkischen so wie die französische Küche ein Abklatsch der italienischen ist.

Und die deutsche Küche mit ihren Eintopf-, Kartoffel- , Kraut- und Brot-
Spezialitäten, was ist sie?
Vor allem mit internationalen Küchen kombinierbar.
Und so soll es auch bleiben! Inch Allah! Hoffentlich!

Renate Rave-Schneider, März 2015

2 Gedanken zu „Kartoffeln statt Döner

  1. Diese Glosse von Renate kenne ich bereits von ihrem Auftritt bei uns im März 2015 auf der Mülheimer Lesebühne.
    Gelesen habe ich sie heute zum ersten Mal. Auch hier in schriftlicher Form gefällt sie mir ausgesprochen gut.
    Aber ich denke, diesen Text sollte man wirklich „live“ erleben. Renate Rave-Schneider trug diese Glosse sehr professionell
    im Hinblick auf Rhetorik und Gestik vor. Die Story kam darüber hinaus an diesem unvergesslichen Abend schwungvoll und witzig herüber und ließ beim anwesenden Auditorium kein Auge trocken. Das gleiche galt auch für die zweite von ihr vorgelesene Geschichte „Das große Fressen“…
    Ich freue mich schon jetzt auf unsere 42. Mülheimer Lesebühne am Freitag, 04.März 2016, 19.00 Uhr – 22.00 Uhr, „Blauer Saal“
    des Hotels Handelshof zu Mülheim an der Ruhr. Denn zu der Veranstaltung wird Renate auch wieder aktiv mitwirken.
    Manfred Wrobel

  2. Ich liebe die Figuren in deiner Glosse: das rotgesichtige Bäuerlein, die robuste Germania, die Elvistolle mit Migrationshintergrund….Herrlich!

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