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Erinnern fängt mit damals an: Das schwarze Schaf

Erinnern fängt mit damals an

Das schwarze Schaf

von Renate Rave-Schneider

 

Mein Vater kam aus preußisch – geordneten Verhältnissen, die

Stammtafel mit der er die Dielenwand dekoriert hatte, bewies es:

Brave Westfalen, sesshafte Ramsdorfer, Ärzte, Apotheker und einige

Gerichtspräsidenten waren zu einem Großteil Vertreter der Sippe.

Fast alles honorige Leute……

Doch seine einzige, früh verwitwete Schwester hatte einen Sohn:

Victor hieß er, war Billes mittleres Kind und in jeder Hinsicht ein

schwarzes Schaf. Schon allein durch sein Äußeres-fast olivbraune –

Gesichts-Haut, Elvis-Tolle, spitze Schuhe und extravaganten Schmuck-fiel er

auf.

Mein Cousin Victor war neun Jahre älter als ich; ich fand ihn absolut

faszinierend. Nicht nur deshalb, weil er für mich als kleines Mädchen den Osterhasen gespielt und viele bunte Eier im Garten der Tante versteckt hatte.

Sondern, weil er verblüffend war. Er lockerte die eher langweiligen Familien-

Runden auf durch makabre Scherze, eigenartig befremdliche Auftritte und

dann und wann exotische Kostümierungen.

Habe ich „auflockern „ gesagt? Meistens flogen nach seinen Auftritten

Kaffeetassen, Messer und Gabeln durch den Ess-Raum, Tante Bille war sehr oft

In Tränen aufgelöst, während Victor längst auf der Kreidler Florett davon geknattert war und um die Häuser zog.

 

 

 

So oder so waren Weihnachten und Ostern, Pfingsten und einige Geburtstage

Im Haus der Tante in Münster-St. Mauritz stets unvergessliche Erlebnisse.

Victor, mein rätselhafter Cousin!

Eines Jahres musste er kurz nach den Weihnachtsferien erst die Internatsschule

und nach Dreikönig den a-cappella-Chor verlassen, wiederum ein halbes Jahr

später hatte er eine Jugendstrafe im Zoo abzuleisten, seine Aufgabe war es

die Affenhäuser auszuscheuern und die Eulen und Kauze in der Eulenburg zu

versorgen.

Dies muss von schwacher Wirkung gewesen sein, denn bald darauf hatte

er wieder Gesetze gebrochen: Er hatte Mofas frisiert und war ohne Fahrerlaubnis im Wagen seines Tennislehrers nach München gefahren.

Ein Jahr  danach hatte Bille entdeckt, dass er aus der Lade der Oma

Goldschmuck, Silberlöffel und einen schweren Tortenheber in Drachenform,

feinstes indonesisches Kunsthandwerk- ein Andenken an Omas ersten Verlobten, der einmal auf Java gelebt hatte- entwendet und versetzt hatte.

Es ging weiter mit diesen Sensationen, während seine beiden Geschwister nur

durch gute oder schlechte Zeugnisse auffielen.

Auf jeder Fahrt im klapprigen Käfer von Recklinghausen nach Münster über die

alte Bundesstraße B54 redete Mutter auf Paps ein:

„Du bist doch sein Patenonkel, Du musst die Stelle seines verstorbenen Vaters

übernehmen und mit dem Jungen in Ruhe sprechen, so dass er Vertrauen

zu Dir aufbauen kann!

Vielleicht wird er durch Deinen Einfluss noch zu einem anständigen Katholiken

und zu einem ordentlichen , verantwortungsbewussten Menschen. Jedenfalls

solltest Du Bille nicht mit der schweren Aufgabe der Erziehung alleine lassen!“

 

Vater schrie dann erregt: „Sonst noch was?

Habe ich etwa Zeit? Die habe ich ja noch nicht einmal für die eigenen Kinder.

Lässt mein Arzt-Beruf mir etwa Luft?“

Inzwischen schrie er so laut, dass die Scheiben des Käfers vibrierten und mein

Bruder und ich uns die Ohren zuhielten.

„Soll ich den Halbwüchsigen etwa in den so dringend benötigten Winterurlaub

nach Arosa mitnehmen, um dort auf ihn einzuwirken? Oder im Sommer nach Fanö?“

Dann senkte sich seine Stimme:“Wir wissen ja gar nicht, welches Blut in Victors

Adern fließt. Dir ist doch bekannt, dass  gemunkelt wird, dass sein Vater das uneheliche Kind aus der Beziehung der Mutter mit einem Zigeuner war?

Na bitte!“

Zwischen Münsters Hotel Kaiserhof und der Dechanei-Schanze , während der

Käfer die letzten Kilometer fraß, endete die Debatte der Eltern meist mit einer

Einigung: Zunächst wolle man harmonische Stunden bei Korinthenbrot und

Kuchen sowie Kaffee, bei Sherry und Portwein im Haus von Bille verbringen,

gemeinsam singen und sich an Victors schöner Bariton-Stimmer erfreuen.

Vor der Rückfahrt nach Hause richtete Vater fast immer ein paar salbungsvolle

Worte an ihn, während Mutter ihm Geld, meistens einen Zehn-Mark-Schein

zusteckte, den er klammheimlich in seiner Tasche versenkte, ohne ein Dankeschön.

 

„Kennst Du Purple Haze?“ fragte Victor mich eines Jahres nach Neujahr während eines Familienfestes, „absolut galaktisch dieser Virtuose Jimi Hendrix

mit seiner heulenden Gitarre!“

Ich stotterte, dass ich mehr auf Joan Baez und Bob Dylan, auf Spencer Davis und den Kinks stünde, hatte aber keine Chance. Victor führte mich weg von

der trauten Familienrunde, weg von seiner Schwester, die aus „Don Quichotte“

vorlas, in sein muffiges Kellerkabuff, wo es nach verschwitzten Sachen und

Zigarettenqualm und noch anderem Undefinierbaren miefte und legte mir-

untermalt von der Hendrix-Langspielplatte- merkwürdige Fotos vor.

Ich sah darauf die rückwärtigen Ansichten von zwei umschlungenen , nur

mit Strohhüten bekleideten Männern an einem Pinienstrand .

Victor grinste, während er die Fotos kommentierte:

„Ich und mein neuer Freund in einer Bucht bei Marseille!“

Ich hatte solche Bilder vorher noch nicht gesehen und fragte verlegen, wie

er diese Reise denn finanziert hätte.

„Per Auto-Stop. Und vor Ort taten sich dann leerstehende Villen mit vollen

Lebensmittelschränken auf,

was unser Glück war. Den Franzosen selber ist es Ende Oktober zu kalt dort. Ja, so konnte ich meinen Juan gut mit Luft und Liebe verwöhnen!“

Dabei  grinste er wieder und reichte mir eine Zigarette, es war meine erste.

Er wollte mir noch speziellere Fotos zeigen, doch mich überlief eine Gäsnehaut.

Angerauchte Zigarette und Eckes Edelkirsch verschmähte ich, ich flüchtete zu den anderen, die sich inzwischen um den warmen Kamin geschart hatten.

 

An diesem Abend besuchte auch mein Vater die Kellerbude, er blieb längere

Zeit dort und als er wieder zu uns an den Kamin zurückgekehrt war, hatte er

nicht viel Sitzfleisch.

Schließlich zog er Bille bei Seite in die Garderobe hinein, wo er eindringlich

auf sie einsprach.

Draußen war es finstere Nacht, als Paps mit Mutter, meinem Bruder und mir aufbrach.  Inzwischen hatte er einen Mercedes Benz, mit dem wir fast doppelt so schnell zuhause sein würden wie früher mit dem Käfer.

Die Tante stand im Licht des Türeingangs und winkte uns mechanisch zum

Abschied zu.

Ihre  rot umrandeten Augen waren vor Schrecken geweitet, schließlich ver-

schleierten sie sich wie Eulenaugen und starrten in die Ferne, diesen Blick

habe ich lange nicht vergessen.

Bei dieser Rückfahrt flüsterten die Eltern, mein Bruder schlief zwar offensichtlich schon, aber ich sollte wohl auf keinem Fall etwas mitkriegen

und schnappte dennoch Teile der Unterhaltung auf:

„Unglaublich so etwas. War mit minderjährigen Freunden im Urlaub,

was der in seiner Labilität alles so macht, sieht gar nicht gut für ihn aus,

naja, Anwalt X könnte ihn vielleicht da rausboxen!“

 

Daheim angekommen, wollte ich schnell ins Haus huschen, verfing mich

aber in der Nebelnacht im angefrorenen Dornengestüpp des Rosenstrauches

im Vorgarten. Was für ein seltsamer Tag lang hinter mir.

Schließlich in meinem Zimmer –diesmal ohne Radio Caroline oder Radio Veronika- mummelte ich mich rasch in meine Bettdecke ein und dachte nach:

Über die gesehenen Fotos, über Liebe zwischen Männern und das, was mein

Vater im Auto gesagt hatte.

Die Gedanken drehten sich im Kreis und ich fand erst frühmorgens Schlaf.

In der Folgezeit war zuhause manchmal von einem Anwalt die Rede, einem , der schon in aussichtslosen Fällen durch seine Plädoyers Hoffnung in die

Dunkelheit gebracht hatte.

 

Fast zwei Jahre gab es keine schlechten Nachrichten aus Münster-St. Mauritz.

Victor schien sich gefangen zu haben, er studierte Rechtswissenschaften in

Berlin.

Nur noch in den Semesterferien, wenn er zur Finanzierung von ausgedehnteren

Ferien-Trips in einer Farbenfabrik in Münsters Süden jobbte, weilte er ein bis

zwei Monate im Hause seiner Mutter.

Im ersten Stock unter dem roten Ziegeldach hatte er ein Balkonzimmer belegt,

was er sich geschmackvoll mit Stichen von Stadtansichten und Schiffs-Radierungen ausgestattet hatte.

Alles schien in Ordnung und Bille war glücklich.Sie machte mit ihrem Sorgenkind eine kleine Weinreise an die Mosel, von der sie anschließend wegen seiner Fürsorge  und seines Frohsinns richtig schwärmte.

Kurze Zeit später wagte sie es, zu Bridgefreunden nach Torremolinos zu fliegen.

Victor kehrte  offensichtlich zum Studium nach Berlin zurück.

Alles schien in Ordnung.

 

Doch Buß- und Bet-Tag wurden wir frühmorgens durch ein permanent klingelndes Telefon aus dem Schlaf gerissen.

Bille war es , völlig aufgelöst:

 

 

„Ihr müsst mir helfen, etwas Schreckliches ist passiert!“ schluchzte sie. „Ich bin ja erst eine Viertelstunde aus Spanien zurück, habe nur die Koffer abgestellt.

In Victors Zimmer brannte Licht, also bin ich rein und was ich sehe, ist Blut

auf dem Teppich und überall Scherben und  sein Anzug hängt am Fenster,

nein, ich kann gar nicht weiter reden, ich glaube, der Victor hat sich umgebracht!“

 

Vater überlegte nicht lange, er  klärte die Situation mit seinen Arzt-Kollegen ab,

die ihn bei der Krankenhaus-Visite vertreten mussten und fuhr- nur mit einer

Haferflocken-Suppe im Bauch- ab nach Münster.

Stundenlang blieb er aus und als er zurück kam, berichtete er , dass ein Taxifahrer

seinen Neffen angeschlagen und völli desorientiert und durchfroren in einem

Gebüsch an der Autobahn-Auffahrt gefunden und ins Krankenhaus gebracht hätte. Zuvor hätte  er wohl versucht sich die Pulsadern aufzuschneiden. Wohin er trampen wollte, zumal er doch inzwischen einen

Fiat hatte, blieb im Dunkeln. Grund jedoch für seine Affekt-Tat war wohl

eine unglückliche Episode mit einem Berliner Koch.

 

Victor erholte sich rascher als wir dachten, er begann mit Bogenschießen

und Meditation, er schloss sein Studium ab, nun allerdings in einer anderen

Stadt und ging als Rechtsreferendar nach München. Später übte er verschiedene juristische Tätigkeiten aus, setzte sich früh zur Ruhe und baute sich eine Villa auf Teneriffa, die er mit einem Freund bezog, den er in München

kennengelernt hatte. Außerdem betätigte er sich als Landschaftsfotograph und

sang in einem Männer – Chor.  Ein bunter Vogel blieb er irgendwie, doch ein

schwarzes Schaf war er ganz gewiss nicht mehr.

Wir aber vergaßen seine Eskapaden und seine verrückten Geschichten nie,

einige von diesen waren Gesprächsstoff und das Salz in der Suppe bei kleineren Familien-Zusammenkünften..

 

Renate Rave-Schneider

März 2000, überarbeitet im Januar 2019,

copyright

 

 

 

 

 

2 Gedanken zu „Erinnern fängt mit damals an: Das schwarze Schaf

  1. Kommentar der Verfasserin: Renate Rave-Schneider:
    Diese Story , erlebt in den Jahren ab 1962 bis ca. 1968, habe ich 2000 aufgeschrieben und jetzt noch mal für die Erinerungs-Serie überarbeitet. Dass sie nicht so ganz meine derzeitige Handschrift trägt, hängt damit zusammen, dass ich sie erzählerisch aus der Perspektive eines gerade der Kindheit entronnenen Teenagers schildere: Mal was anderes! Und noch wichtg:“ Schwarzer Schaf“ ist nur der Titel,angeregt durch eine Krimi-Komödie, schwarze Schafe werden von der Gesellschaft zu solchen erklärt!

  2. Liebe Renate,
    dein Kommentar läßt mich die Story nochmal mit anderen Augen sehen.
    Aus der Sicht einer dreizehnjährigen in den sechziger Jahren, finde ich sie spannend und unterhaltsam.
    Lieben Gruß
    Bernhild

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