Stille Tage in Le Moulin de Grand Saucy
„Mäuse, Zecken, Kreuzottern, Steinkreuze unter blauen Hortensien-Büschen, Le Moulin de Grand Saucy,
Mühlen sind Orte der Wandlung , „Narziss und Goldmund“ von Hermann Hesse
die perfekte Lektüre hier. Spinnen, Eidechsen und Vorsicht: Zecken in der Rosenhecke auf der Terrasse……..
Da steht ein fremder Mann im Bach , der will Forellen angeln!
Da hockt ein Nöck zwischen Mühl-Dach und Bach, sein Gesicht ein
grüner Algen-Bart, er lässt mich bangen!“
In einem kleinen Vogesen-Dorf namens La Montagne
liegt in einem Wiesental eine alte Mühle, diese hat meine
Cousine Ursula vor über vierzig Jahren bereits käuflich
erworben.
Der Ort La Montagne ist ein kleiner, von deutschen Künstlern und
Esoterikern entdeckter Flecken mit vielen, oft verfallenen Fermes-Auberges*
aus grauem Stein; hier scheint die Zeit still zu stehen.
Noch vor 55 Jahren bestellten die Bauern ihre Felder mit Ochsen.
Die Elektrizität hat nach Jahrzehnten mit gemütlichen als auch genügsamen Abenden im Schein von Petroleumlampen zögerlich und immer noch notdürftig
Einzug gehalten.
Die Mühle, die aus zwei Gebäuden, der ehemaligen Turbinen-Mühle und
dem heutigen Ferienhaus besteht, liegt in einem Wiesental;
Vierrad-Antrieb des Autos ist perfekt, um die Spur im meistens
taunassen Wiesen-weg zu schaffen.
Dabei verfolgen Milchkaffee -braune, Klee fressende Kühe die gewagten
Manöver glotzend aus großen Augen.
In jedem Raum der Ferienwohnung sind Fallen aufgestellt, Marder-Fallen
auf dem Dach, Mäusefallen in den einzelnen Räumen und Schlafgemächern,
der Duft von Wiesen-Kräutern und Feldblumen dringt durch die weit geöffneten
Fenster, im Inneren riecht es nach Geräucherten, obwohl hier nicht geräuchert
wird und auch nach Heizöl und Kerzenwachs.
Ich frage mich, ob Mäuse-Anteil in der Rhabarber-Marmelade ist, die es morgendlich
neben Honig und Camembert zum Baguette gibt.
Allmorgendliche Frühstücks-Rituale: Bei gutem Wetter vor dem Hause in Bach-Nähe,
bei Kälte oder Regen in der holzgetäfelten Wohnküche und dazu nur französische Sender aus einem uralten
Transistor, ein wahrer Wellensalat! Wenn die Franzosen nicht so viel parlieren würden,
nicht in die Musiktitel hinein sprechen würden, hätte man doch entschieden mehr von
„Natalie, Mylord, usw!“, von Gilbert Becaud, Edith Piaf , Johnny Halliday und von dem
einen, der „Et moi, et moi, et moi“ im Beat-Rhythmus singt. Wie heißt er doch gleich?
Nur sonntags hat die Bäuerin aus der Nachbarschaft mit ihrem Sohn, dem Automechaniker,
Zeit die Wiesen elektrisch zu sensen: Auf Geheiß von Ursula, der grazilen Cousine, die meistens
in Safari-Kleidung und mit großem Strohhut, der sie vor noch mehr Sommersprossen schützen
soll, herumläuft, lässt die tatkräftige Frau einen Saum aus Wildblumen stehen:
Wiesenkerbel, Knöterich, Kornblume, rote Lichtnelke, lila Klee, Löwenzahn und Butterblume,
von denen ich pflücke und in Krügen und Senfgläsern auf Truhen und Tische stelle.
Süßlicher Heu-Geruch dringt in die alte Mühle, wo Wolfgang der Angetraute, die Gitarre stimmt
und mit bluesigen Klängen und markiger Stimme sogar den gurgelnden Mühlbach
übertönt.
Am Tage sind wir oft unterwegs: Auf einen Bauernmark im benachbarten Faucogney: Dort spielt doch tatsächlich regelmäßig ein Blasorchester. Den Ziegenkäse hier muss man probiert haben und in die Mirabellen möchte man sich reinlegen. Es geht weiter ins verträumte Remiremont an der Mosel mit seinen Arkaden und pittoresken
Geschäften. Nach Luxueill mit seinen Heilquellen oder zu einem der Vogesen-Berge, meistens zum
Hohneck, wo die Aussicht besticht und der Blaubeer -Kuchen eine Spezialität ist.
Die Radrennfahrer, die schniefend und schwitzend die Serpentinen-Strassen hoch „asten“, die
in ihren eng ansitzenden Nylon-Hosen wie Jockeys aussehen, tun mir leid, warum tun sie sich das an?
Abends knistert das Holz im Kachelofen, arbeitet es in den Dielen-Bohlen und alten Schränken, bei
flackerndem Kerzenlicht ist die Panflöte von George Zamfir genau die richtige bezaubernde Musik-Untermalung, die Schallplatte knistert und kratzt, das
alte Abspielgerät knackt und ächzt, ich schaue den Rauchwolken nach, die mein Zigarillo hinterlässt!
Dann wird draußen auf der Terrasse noch ein leichter Süßwein genossen; im Schein der Abenddämmerung
kann ich einen Fuchs ausmachen, der sich den Wiesenweg herunter trollt, sein buschiger Schwanz wirft
Schatten aufs Gras.
Dankbarkeit empfinde ich für diese Natur-Idylle, an diesem Ort ist jegliche Sehnsucht nach der weiten Ferne getilgt. Sansibar? Die Kapverden? Südafrika, Vietnam?
„Tempi passati“, dass ich meinte da unbedingt noch hin zu müssen. Hier bin ich mit dem Herzen des Waldes und dem Wasser verbunden, durch Magie ist dieser Ort durch ein unsichtbares Band als Rückzugs-Ort mit vielen Orten auf der Weltkarte verknüpft. Hier kann meine aufgescheuchte Seele zur Ruhe kommen.
Später im Mondlicht steigen wir eine knarrende Holztreppe zu dem Schlafgemach hinauf und ich fingere
das „Betthupferl“ aus dem Seitenfach des Koffers: ein Täfelchen Schokolade mit fünf-und-achtzig prozentigem
Kakao-Anteil. Ein Viertel-Liter-Fläschchen Vin Rouge.
Menschen, Mäuse und Rehe geistern durch meine Träume , der Angetraute,der bei seinem Gitarren-Auftritt
am Nachmittag in der Turbinen-Mühle neben dem Mühlwerk nach eigenen Worten wie an einem Galgen
stand, stöhnt im Schlaf.
Wie tröstlich ist das Erwachen mit dem lebendigen Wasser des rauschenden Baches.
Jacques Dutronc, der Sänger heißt Jacques Dutronc.
Doch „Et moi, et moi, et moi!“zählt hier nicht.
Keine Zeit für Ego-Pflege. Jedenfalls einigeTage nicht!
Oder länger, wer weiß!
Mühlen sind Orte der Wandlung.
Wir wollen erst den Bach vorbei lassen. Den Bach, der zur Rhone fließt und von dort ins Mittelmeer.
- fermes-auberges – kleinere Landgüter, Art Bauernhäuser
Renate Rave-Schneider, Mai 2015
2 Gedanken zu „Stille Tage in La Montagne“
Hallo Renate,
wie immer sehr eindrucksvoll geschrieben, selbst die Gerüche scheine ich beim Lesen wahrzunehmen.
Viele Grüße und mach weiter so …
Lydia
Heute freute ich mich mal wieder von Herzen: Zurück kommend vom Walk durch Wies und Feld fand ich die E-Mail einer netten Frau vor, die aus Gründen der Diskretion hier nicht namentlich genannt werden will.
Bezogen auf den obigen Text „Stille Tage“ schrieb sie mir:
„Kompliment: Wunderbar geschrieben. Du hast die Gabe, den Leser sofort mitzunehmen zu diesen Orten.
Gerüche, Farben, man nimmt alles so wahr … und dann findet man es schade, dass es schon zu Ende ist.
Danke dafür! / Ich danke Ihr und der Schöpfung, dass es solche Rückzugs-Orte gibt!