Stories

Buch-Besprechung aktuell im September 2022

Alex Schulman,

Verbrenn all meine Briefe,

Übersetzerin : Hanna Granz

Roman bei DTV, 2022,

200, Seiten, 23, €/ ISBN  978-3-423-29037-1

 

In diesem Familienroman erzählt der schwedische Autor Alex Schulman die Geschichte seiner Großeltern, die letztlich sehr viel mit ihm zu tun hat.           Auslöser ist ein –ihn aufwühlender- Streit mit seiner Frau Amanda , der was mit ihm macht, weil er darauf kommt, dass dieser familiäre Wurzeln haben könne. Aus dunklen Erinnerungen an eine oft unheilschwangere Atmosphäre im Haus seiner Großeltern begibt er sich auf die Reise zurück in die Vergangenheit, die er dort erlebte . Zugleich forscht er auch in Tagebuchaufzeichnungen, Briefen und Dokumenten des Großvaters, der Großmutter und ihres Geliebten Olof. Diesen lernte sie in der Literatur-Stiftung am Mälar-See kennen, wo sie mit ihrem Mann immer wieder längere Aufenthalte verbrachte. Das Glück der beiden Liebenden währte nur eine kurze Zeitspanne , die Erinnerung daran und die Hoffnung auf ein dauerhaftes gemeinsames Leben jedoch ein Leben lang; ist dokumentiert in sehnsuchtsvollen, langen Briefen der Liebenden. Es schließt sich der Kreis, als Olof  aufschlussreiches und traumatisches aus der Kindheit des Großvaters erfährt. Durch all sein erworbenes Wissen aus der Familiengeschichte kann er nun mit seiner eigenen Wut und Ohnmacht lernen besser umzugehen.

 

Was macht diesen Roman, diese Familiengeschichte so anders, so viel eindringlicher als manch andere?

Das hat vielschichtige Gründe:

Erstmal ist Alex Schulmanns Roman keine Fiktion und kein Phantasie-Produkt, sondern basiert auf realen Personen und real Erlebtem.

Und es sind besondere Personen, die beiden wichtigen Männer in Karin Stolpes Leben, ihr Ehemann, der berühmte und wortgewaltige Schriftsteller Sven  Stolpe und der romantische , poetische Geliebte Olof Lagercrantz, gleichfalls Autor, allerdings ganz andere Text-Arten.

Anders als in anderen Familiengeschichten ist die Eindringlichkeit mit der Alex Schulman forscht, aufdeckt, sucht und findet, als wenn es kein Morgen mehr gebe, bezeichnend. Er tut es für sich selber, er tut es um der Wahrheit und der Gerechtigkeit willen, er nimmt den Leser jedoch von der ersten und letzten Seite dabei mit.

Auf der einen Seite Sven, der in lebenslanger Finsternis leben muss, seitdem ihn übergroßes Misstrauen gegen seine Frau und Olof, seitdem ihn rasende Eifersucht erfasst hat, auf er anderen Seite Olof, der nur für die Liebe, für die Verschmelzung existiert. Sein eigenes Leben will er für die Geliebte opfern, die er mit einer Wildrose vergleicht, die es übrigens in Scharen rund um die Bildungsstätte am See gibt, ebenso wie überdimensional große Steine mit Kuhlen, die Platz für ihn und seine Geliebte bieten.

Die Hauptfigur des Jungen bleibt jedoch sein Respekt, manchmal Furcht einflößender Großvater. Oft kamen mir bei der Lektüre Parallelen zu Thomas Mann, dem Zauberer, der gleichfalls von seiner Familie im Schreibprozess nie gestört werden wollte. Und tatsächlich erwähnt der Autor Schulman dessen  Werk „Der Zauberberg“ auch im Roman als seine Lieblingslektüre.

 

Ich habe selten ein solches Buch aus der Feder eines Mannes gelesen, eine

Familiengeschichte, die in keinster Weise chauvinistische Züge enthält, die mit  Sanftheit , Interesse, Empathie und Gleichmut allen Charakteren versucht gerecht zu werden. So werden selbst Gemeinheiten, unvorstellbare Beispiele an Ignoranz und „lächerlich machen“ anderer, nahestehender Personen durch den Großvater schließlich auch verständlich, der Schlüssel dazu liegt in seiner Kindheit.

Diese Buch ist Dokumentations-Prosa, allerdings mit wechselnder Sprache. Wenn der Autor aus den Briefen Olofs zitiert und von dessen Tagebuchaufzeichnungen schreibt, so übernimmt er dessen schwärmerische, romantische Sprache voll und ganz. Kein Detail lässt er  auch bei den Empfindungen von Karin, ihren Lieblingsgedichten, aus, obwohl sie doch diejenige ist, die am wenigsten Material zurückgelassen hat. Er beschreibt ihr sanftmütiges und weises Wesen durch die Art, wie sie handelt, wie sie den Alltag gestaltet . Dass sie letztlich  immer noch ein Lächeln zeigen kann, obwohl sie durch existenzbedrohende, Phasen der Angst gehen musste, ist einerseits in ihrem Charakter begründet, ergibt sich andererseits wohl aus dem Glück einer besonderen Liebe, die sie erfahren durfte.

„Was einst ich hab besessen, so köstlich ist, dass man es ach zu seiner Qual, nimmer mehr vergisst.“ Goethe

Fazit: Ein wirklich lesenswerter Roman, der einen wie in einen Sog tief eintauchen lässt.

 

Renate Rave-Schneider, September 2022

 

 

 

2 Gedanken zu „Buch-Besprechung aktuell im September 2022

  1. Deine Buchbesprechung hört sich für mich interessant an, obwohl oder gerade, weil ich weder den Autor kenne, noch den Namen des Protagonisten oder etwas über die Zeit und Region weiß. Aus gutem Grund kann ich mich jedoch darauf verlassen, dass die Faszination, die der Roman bei Dir auslöste, Leseratten und mich neugierig macht, siich den Titel zu merken, weil Deine Schilderung schon eine gekonnte Vorstellung vermittelt, um was es da geht. Danke.

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