Kommentar von Renate Rave-Schneider ( Lesebürgerin) zu Karen Duves Fräulein Nettes kurzer Sommer
Sommer 1820: Das ruhige Landleben in den provinziellen Adelskreisen auf dem Bökerhof und auf der Burg Hülshoff plätschert für Annette von Droste-Hülshoff so dahin. Doch dann taucht Straube, ein Freund von Drostes Onkel August auf. Er ist extrem hässlich, extrem arm und extrem genial, und er verliebt sich sofort in die scharfzüngige Nervensäge. Das Unglück braut sich zusammen, als ein anderer Freund dieses Onkels August auftaucht: von Arnswald, adelig und sehr gut aussehend, der sich gleichfalls für die Droste interessiert. Zum Schluss sind zwei, vielleicht sogar drei Herzen gebrochen.
Ich finde im Gegensatz zu manchen Kritikern, dass Karen Duve in ihrem Buch den historischen Stoff sehr fesselnd vermittelt : alles, was sie über die Droste und ihr Umfeld schreibt, ist aufschlussreich und neuartig, von den 544 Seiten war keine zuviel.
Aufgefallen ist mir noch , dass sich das Frauenbild sehr von dem heutigen unterscheidet. Droste hatte nach dem Komplott große Schuldgefühle, obwohl sie nichts Schlimmes tat, nur weil sie erotische Wünsche und Bedürfnisse spürte. Eine heutige Frau würde wohl eher in der Lage sein, dazu zu stehen. Darüber hinaus aber wird durchaus transparent, dass Droste einen starken, unverwechselbaren Geist hatte, der sich unter anderem in ihrem Schreibstil manifestierte. August von Haxthausen, der das anzweifelte, weil er sich selber gerne als gefeierten Autor gesehen hätte, wurde von Straube eines Besseren belehrt.
Da mündete in der Quintessenz, dass beide eines Tages nur Fußnoten in und in Bezug zu Drostes Werk wären.
Ein großer Verdienst dieses Buches ist weiterhin, dass es das Image des Burgfräuleins der Biedermeier- Zeit entstaubt,weil es der Autorin vortrefflich gelingt, wenig bekannte Wesenszüge der Droste wie Keckheit, Ironie und Durchsetzungskraft darzustellen.
Denn das Nettchen scheute nicht vor einer eigenen Meinung zurück und mischte sich in die politischen Gespräche der Herren ein, was sich seinerzeit keinesfalls schickte. Statt Handarbeiten zu machen, ging sie lieber in die Natur hinaus und klopfte Steine. Das war in ihrer adeligen, provinziellen Familie komplett unüblich.
Sowohl Annette von Droste-Hülshoff, deren Unbehagen und Unzufriedenheit mit ihrem Frauenschicksal in dem Gedicht „Am Turme“ im wilden Aufbegehren gipfelt, als auch Karen Duve, die mit diesem Werk ganz neue Facetten von Droste transparent machte, sind starke Frauen und Autorinnen, die viel bewegten/ bewegen und Siebenmeilenstiefel trugen/tragen.
Im Rahmen der Droste-Tage 2019 las Karen Duve aus ihrem aktuellen Roman Fräulein Nettes kurzer Sommer.
Renate Rave-Schneider aus WORD 2, This is a Woman`s World, Magazin für Literatur, Kunst und Gesellschaft