Die Jukebox im Reinbeker Waldhaus
(oder eine Familienfeier gerät in Schieflage)
Es war der neunzigste Geburtstag der Reinbeker Großtante im Juli 1968
und wie immer wurde im Reinbeker Waldhaus gefeiert.
Die Verwandtschaft aus dem Westen( wozu wir gehörten) und dem Süden
war zahlreich angereist und in recht fideler Stimmung.
Wir Heranwachsenden sowieso: wir Cousinen und Cousins unterhielten uns
über unseren Hamburger Hafenbummel, erzählten Witze von und über Hamburger und
hatten unseren Spaß.
Nach Hummer-Suppe und Filet Wellington waren wir jetzt bei der
Fürst Pückler Eisbombe angekommen und ich sinnierte gerade darüber,
ob diese nicht hier am Rande des Sachsenwaldes besser Fürst Bismarck-
Eisbombe heißen sollte, hatte ich doch dessen Mausoleum in Friedrichsruh
gerade gestern noch mit Vater besucht.
Dieser war schon bei einem Glas Rotwein und seiner Havanna und unterhielt
die Tischgesellschaft mit Erlebnissen aus der Zeit, als er im Hamburger
Marienkrankenhaus junger Assistenzarzt war und dort ein Faschingsfest
erster Sahne stattfand.
Plötzlich hatte er den Einfall die Jukebox, die im Abend-Sonnenschein gülden glänzte,
mal in Betrieb zu setzen und zog zwei Fünfzig-Pfennig-Stücke aus seinem
Jackett: „Renatchen, mach doch mal Musik an!“
Nichts lieber als das, das Renatchen im roten Minikleid sprang auf und wählte
enthusiastisch aktuelle Titel aus den Charts.
Da waren solch ausgeflippte wie „Judy in disguise „ extravagante wie „purple haze“ oder rhytmische wie „You really got me“ dabei .
Merkwürdigerweise schienen die Klänge sogar den älteren Herrschaften zu gefallen, sie summten mit , erhoben die Weingläser und zeigten sich fidel.
Doch Vater hatte wohl auch an andere Musik-Titel gedacht und feuerte mich an:
„Nun sorg mal für Stimmung. Bill Haley oder aber die Comedian Harmonists!
Oder Hamburger Originale!“
Etwas ratlos ließ ich meinen Blick über die vielen Musiktitel in der Jukebox streifen. Und dann wurde ich fündig.
Da war er der Ohrwurm für alle Hamburg-Liebhaber, der Klassiker sozusagen,
was konnte es anderes sein als Hans Albers mit „Auf der Reeperbahn!“
Vater, Großvater, die älteren Cousins stimmten ein und ich staunte, wie textsicher
sie waren, Großmutter und ihre Schwestern schunkelten. Doch die Fröhlichkeit
währte höchstens eineinhalb Minuten, da erhob der komplett weißhaarige
Onkel aus Wellingsbüttel, den ich als so friedfertigen und milden Mann erlebt hatte, seine Stimme energisch :
„Wir wollen hier kein Remmi-Demmi!“
Augenblicklich versiegte der Gesang , aber auch jedes Gespräch, Hans Albers
Song noch zu Ende hörend, hockte man weiter in der Tafelrunde,doch die Stimmung war dahin. Versteinerte Mienen
und betretenes Schweigen.
Ziemlich verhalten murmelte die Frau des Wellingsbütteler Onkels “Tja, ich weiß auch nicht, was er heute hat.
Der war morgens schon mit dem falschen Fuß aufgestanden. Wahrscheinlich
bekommt ihm sein Pensionärs-Dasein nicht! Er wäre auch lieber mit dem Auto
nach Reinbek gefahren, in der S-Bahn war schon Randale!“
Doch alle Erklärungsversuche brachten nichts, die gute Laune war flöten gegangen. Und ich überlegte mir, ob ich in der nächsten Zeit noch mal im Hamburger Norden in seinem Hause übernachten würde, irgendwie strich ich diesen Onkel erstmal von meiner
Liste der Lieblings-Verwandten.
Jahrzehnte hat es gedauert, bis ich sein Verhalten annähernd verstehen konnte.
Inzwischen bin ich geräusch-empfindlich geworden, mich stören Laubsauger,
Tiefdruckbohrer, aufheulende Motoren. Aber eine Juke-Box? Ach gäbe es diese doch noch!
Renate Rave-Schneider