Stories

Im Heinrich-Heine-Haus

Düsseldorf 1996
Im Heinrich-Heine-Haus,

Da bist Du angekommen: In Düsseldorf,
der Medien- und Messestadt am Rhein.
Du findest Dich in der Altstadt wieder.
Immer gerne Dein Ziel, sei es um ein Alt zu trinken,
Dich mit Kumpels zu treffen oder sonst was zu machen.
Erstmal kriegst Du ordentlich was auf die Ohren, denn die
„Toten Hosen“ haben ihr Heimspiel und schallern auf ihre
punkige Art „Modestadt Düsseldorf“, dass es nur so dröhnt.
Von den Rheinhallen herüber dröhnt es.
Die Altstadt ist ein Ballermann, ein ewiger Jahrmarkt, ein schmuddeliger dazu,
voller bierseliger, schunkelnder Leute, hier stolperst Du
über Pizzakartons, dort über eine tote Taube und auf den zerfledderten
Plakaten liest Du die Konzertankündigung von einem Desperado
aus Deiner Heimatstadt, der zu Folk und Blues einlädt.

Relativ unauffällig zwischen Biergarten, Jazzhaus und japanischem Imbiss
liegt das Heine-Haus mit seiner Kultkneipe Schnabelewopski.
Ganz schnell  bist Du mittendrin im quicklebendigen Poetry-Cafe, welches
unter der Regie des Dichters John so nach und nach die Künstler-, Musiker-
und vor allem Autorenszene der Rhein-Ruhr-Region angezogen hat.
Du tastest Dich wie ein Maulwurf im holzgetäfelten, höhlenartigen Inneren
voran, begrüßt vertraute Gesichter, nickst, lachst ,winkst hierhin und dorthin
und tauscht einen Händedruck mit John, der Dir verrät, wie heute der Ablaufplan ist.
Dann lässt Du dich mit deinen inzwischen eingetroffenen Freunden in einer
plüschigen Nische nieder, nein, Du willst deren Unterhaltung momentan nicht folgen, Du vertiefst dich lieber in die Aussagekraft der Radierungen und Stiche aus
Heinrich Heines Leben, die rundum an den Wänden prangen.
Schließlich bist Du in seinem Geburtshaus und glaubst, dass er sich –
lebte er noch –
unbeschreiblich über das literarische Treiben hier freuen würde.

Heinrich Heine, ein Ästhet, ein Mann, der wohl
bei beiden Geschlechtern gut
ankam, war ein Mensch in dessen Seele es mitunter heftig tobte.
Er schrieb wunderbare, melancholische Lyrik wie zum Beispiel die Ballade von
der Loreley, die die Schiffer am Rhein verzauberte.
Diese Mär kam zu seiner Zeit, zur Romantik in der richtigen Zeit.
Aber mit seinem Rebellenblut
schuf er auch politisch aufrüttelnde Verse über die schlesischen Weber zum Beispiel.
Friedrich Nietzsche wird gerne zitiert, der über ihn mal sagte:
„Den höchsten Begriff vom Lyriker hat mir Heine gegeben.
Ich suche umsonst in allen Reichen der Jahrtausende nach einer gleich
süßen und leidenschaftlichen Musik. Er besaß eine göttliche Bosheit, ohne
die ich mir das Vollkommene nicht zu denken vermag. Und wie er das Deutsche
handhabt ! Man wird einmal sagen, dass er – neben mir- bei weitem der erste Artist der deutschen Sprache gewesen ist!“

Das Rednerpult hat jetzt gerade ein Mann erklommen, der die spannende Geschichte vom Teufel erzählt, der auf Seelenjagd war, aber stets und ständig
das Pech hatte nur Sohlen zu erwischen.
Er trägt brillant vor, alles ist mucksmäuschenstill!
Nur die Holzdielen knarren, wenn die Kellnerin mit Getränketabletts hin- und herhuscht.
Du lehnst dich an die Wand, die Augen geschlossen, versunken in diese Geschichte und machst schlagartig die Erkenntnis , dass diese Kneipe, ein
magischer Ort, dein Heimathafen werden wird, dein Nachtasyl !
Als nächstes stehst Du schon auf der Rednerliste, Du folgst dem Rat Johns
zunächst vor den eigenen Werken einen Fremdtext vorzutragen, aus Respekt
vor den Dichtergrößen wie Goethe, Schiller, Fontane, Heine, Brecht, Rühmkorf und zauberst ein
zerknittertes Blatt aus dem Innenfutter deiner Lederjacke, liest dann eine
Miniatur von Heine!

Der Sturm spielt auf zum Tanze
Er pfeift und braust und brüllt,
Heisa, wie springt das Schifflein!
Die Nacht ist lustig und wild.

Ein lebendes Wassergebirge
bildet die tosende See,
hier gähnt ein schwarzer Abgrund,
Dort türmt es sich weiß in die Höh.

Ein Fluchen, Erbrechen und Beten
Schallt aus der Kajüte heraus:
Ich halte mich fest am Mastbaum
und wünsche: Wär ich zu Haus!

Applaus ist Dir sicher, denn so viele Verse Heines verstauben ja in den Büchern,
drohen in Vergessenheit zu geraten. Du hast jetzt Fahrt aufgenommen, verzichtest
auf deinen eigenen Text, irgendwas treibt Dich mehr von Heine vorzutragen, weitere Gedichte, Balladen, eine Rede über seine Reisen, sein Liebesleben, die
Beziehung zu seiner Mutter.
In der Liebe soll er seltsam gewesen sein:  neben realen Lebensgefährtinnen besuchte er Dirnen, die er glühend begehrte, doch verstorbene Geliebte und Göttinnen als auch Marmorbüsten von Angebeteten, mit denen er sprach, spielten
gleichzeitig eine bedeutende Rolle in seinem Leben.

Doch auch Erich Kästner muss noch mal mit seiner Sicht auf die Loreley
zitiert werden, etwas Rebellisches in dir verlangt danach. Es verselbständigt sich, kommt automatisch von deinen Lippen. Irgendwer spendiert dir einen Pflaumenschnaps dafür.
Und Du liest seine Verse vom regulierten Rhein, nicht mehr liebestrunkenen Schiffern , die spitz und sarkastisch daher kommen.
Recht hatte er, der Kästner, niemand fällt heutzutage mehr in Ohnmacht, wenn
sich langhaarige Frauen kämmen, selbst , wenn sie mythische Ausstrahlung haben  nicht!

Draußen vor der Tür rauchst Du deine Pfeife und stellst fest, dass die fahle Mondsichel am Firmament vom gleichen milchigen Weiß ist wie das Laternenlicht
des Heine-Hauses, in dem Du dich so heimelig fühltest.

Dein Blues hat sich in Luft aufgelöst und Du weißt, dass Du fortan durch die
Beschäftigung mit den Dichtern ein zartes Pflänzchen Hoffnung in dir trägst,
aus dem dir etwas Gestaltendes erwachsen kann.
Wie treffend hatte doch Heine diese Kreativität in seinen Versen geschildert:

Warum ich eigentlich erschuf die Welt, ich will es gern bekennen,
Ich fühlte in der Seele brennen wie Flammenwahnsinn den Beruf.
Krankheit ist wohl der letzte Grund des ganzen Schöpferdrangs gewesen.
Erschaffend konnte ich genesen, erschaffend wurde ich gesund.

Du setzt dich in dein Auto und rauscht durch die Nacht, neuen Ufern entgegen,
Heine im Herzen, Erich Kästner und eigene Werke im Kopf.

Renate Rave-Schneider, copyright 2015.

2 Gedanken zu „Im Heinrich-Heine-Haus

  1. Renate, Dein Heine-Text ist wie immer atmosphärisch dicht, beschreibt für mich die LIteraturszene im Schnabelewopski vor meiner Zeit, denn erst ab 2000 wurde es für mich als zugezogene Düsseldorferin mein Lieblings-Leseort. Eingebettet in den Kreis meiner Literatur-Freunde erlebte ich das „Schnabel“, wie wir es nannten, anders als Du es schilderst, gefärbt durch die Präsenz der Autoren, zu denen ich gehöre. Einen „Abgesang der sogenannten guten alten Zeit“ erlebten wir 2005 bei einem Literatur-Marathon, zu dem alle namhaften Düsseldorfer Autoren beitrugen, bevor unser gemütliches Refugium Düsseldorfer Kneipenkultur unwiderruflich seine Pforten schloss, um am 150. Todestag Heinrich Heines dem Literaturhaus Müller zu weichen. Aus Nostalgie haben wir die neu gestalteten Räume im Heinrich Heine Geburtshaus nie mehr betreten.

  2. Wie aus einem dichten Nebel kommt die Erinnerung beim Lesen dieses Textes hoch. An jene Zeit, wo Du auch mich im Schnabelwobski getroffen hast und wir uns kennengelernt haben. Gleichzeitig kommt an der Stelle auch Wehmut auf, darüber, dass jener Ort in der Form nicht mehr existiert. Das Heine-Haus steht noch, im inneren Bücher und Werke, jedoch nicht mehr vorgetragen, nicht mehr lebendig, so wie einst. Renate, schön, dass deine Erinnerungen hier auch die meinen reflektieren und Du in dem Text einen Abschnitt „Leben“ festhältst, wo wir uns als Unbekannte trafen und später wieder aus den Augen verloren. Jedoch so sehr der „Nebel der Vergangenheit“ auch die ein oder andere Erinnerung trüben mag, so hat das Heine-Haus mit uns zwei voneinander unbekannte Menschen im Gedankengut vereint und bis heute, trotz nicht regem Kontakt, gelernt einander zu schätzen. Daher Dank dem Heine Haus und Danke Dir für den Text.

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